In der pädagogischen Arbeit mit jungen Menschen begegnen uns täglich komplexe Lebensrealitäten: Traumata, Systemversagen, Misstrauen, Aggression, Hoffnungslosigkeit. Oft wird dann reflexhaft nach Lösungen gesucht – nach Diagnosen, Maßnahmen, Strukturen. Dabei übersehen wir manchmal das, worauf es am meisten ankommt: Beziehung.

Ich habe in den letzten Jahren viele junge Menschen begleitet, die als „hoffnungslos“ galten oder bei denen „nichts mehr ging“. Was sich fast immer durchgezogen hat, war: Sie hatten kein Vertrauen mehr – in Erwachsene, in Systeme, in sich selbst. Und das kann man nicht mit Konzepten reparieren.

Beziehung ist keine Methode

Beziehung ist ein Raum, den wir gestalten – nicht durch Perfektion, sondern durch echte Präsenz. Es reicht nicht, da zu sein. Man muss auch fühlbar da sein. Nicht im Aktionismus, nicht in der Kontrolle – sondern im Halten, im Aushalten, im ehrlichen Mitsein.

Ich erinnere mich an einen jungen Menschen, der sich tagelang verweigert hat. Ich hätte mit Druck, Konsequenzen oder Appellen reagieren können. Stattdessen habe ich die Still ausgehalten. Keine Erwartung, kein Gespräch. Nur da sein. Am zweiten Tag kamen die ersten Bemerkungen Am dritten die erste Frage. Am vierten Tag ein Gespräch. Beziehung braucht Geduld – und Klarheit.

Warum viele junge Menschen Fachkräfte „testen“

Misstrauen ist keine Provokation – es ist ein Schutzmechanismus. Viele junge Menschen testen Fachkräfte nicht, um sie zu ärgern, sondern um zu prüfen: „Wie lange bleibst du?“
Wenn du Stand hältst, auch wenn’s unbequem wird, kann Bindung entstehen. Und aus Bindung wächst Entwicklung.

Aber dafür musst du echt sein. Und echt bedeutet nicht perfekt. Echt bedeutet: Ich sehe dich. Und ich lasse mich sehen – in Grenzen, aber ehrlich.

Widerstand als Einladung verstehen

Wenn junge Menschen aggressiv, laut, passiv oder zynisch werden, steckt oft eine Einladung darin: „Kannst du mich trotzdem aushalten?“
Dort beginnt pädagogische Arbeit auf Augenhöhe. Und dort entsteht Wirkung – nicht durch Lösungen, sondern durch das Gefühl: „Ich darf hier sein, auch wenn ich schwierig bin.“

Was Fachkräfte brauchen

  • Zeit, um Beziehung zuzulassen

  • Supervision, um sich selbst zu reflektieren

  • Räume, in denen Haltung wichtiger ist als Dienstanweisungen

  • Mut zur Unvollkommenheit

  • Ein Team, das hinter einem steht

Fazit: Beziehung ist keine Kür – sie ist die Basis

Wenn Beziehung fehlt, bleibt die Krise. Wenn Beziehung gelingt, wird Veränderung möglich. Nicht sofort, nicht linear – aber ehrlich. Und genau darum geht’s.